BR alpha-Forum, 24.09.2002

Das Interview wurde in der Sendung  vom 24.09.2002, 20.15 Uhr ausgestrahlt

Prof. Dr. Guido Knopp Historiker und Journalist im Gespräch mit Dr. Walter Flemmer

" Flemmer: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlich willkommen zum Alpha- Forum. Er ist der bekannteste, manche sagen, der einflussreichste Historiker der Bundesrepublik. Die Bücher, die seinen Namen tragen, erreichen eine Millionenauflage. Und unter ein paar Millionen Zuschauern tut er es auch nicht mehr. Ich heiße zu unserem Gespräch herzlich willkommen Herrn Professor Dr. Guido Knopp.

Knopp: Grüß Gott, Herr Flemmer.

Flemmer: Wir werden heute auch ein wenig über Sie als Person sprechen. Sie wurden im Januar 1948 in Hessen geboren. Sie haben eine Hessin zur Mutter und jeweils einen Oberschlesier zum Großvater und Vater. Ihr Vater hatte mit seinen damals 18 Jahren noch schnell in den Krieg gemusst, der Großvater hatte in die Bundesrepublik ausweichen müssen, wie man gelegentlich ja so schön sagt. Wie ist es Ihnen eigentlich mit dieser zweiten Heimat gegangen? Ich habe vor ein paar Tagen einen jungen Künstler kennen gelernt, der in Bayern geboren wurde, während seine Eltern aus Böhmen stammen. Er sagte zu mir: "Ich habe Wurzeln in Bayern, aber ich habe Pfahlwurzeln in Böhmen!" Er ging nun auch wieder dorthin, kaufte sich eine Scheune und eröffnete darin sein Atelier. Er sagte mir aber: "Ich habe es wahnsinnig schwer mit den Tschechen!" Hat es bei Ihnen in der Familie eigentlich auch mal das Gespräch darüber gegeben, eigentlich in die Heimat zurückkehren zu müssen? Oder sind doch alle Hessen geworden?

Knopp: Bei mir ist es so, dass ich ja sogar in einem doppelten Sinne "Beute-Bayer" bin. Ich bin es zunächst einmal qua Region, denn ich bin in Aschaffenburg aufgewachsen, im äußersten Norden Bayerns. Manche sagen ja auch, das sei das letzte Schwanzhaar des bayerischen Löwen. Franz Josef Strauß hat das eines Tages aber überzeugend widerlegt: Der bayerische Löwe schaut nach Norden, von wo der Feind dräut. In Aschaffenburg befindet sich also nicht das Schwanzhaar, sondern das Haupthaar. Zum Zweiten ist es natürlich so, dass ich zur Hälfte das Kind einer Vertriebenenfamilie bin. In den fünfziger und frühen sechziger Jahren hat es bei uns am Freitagabend eine ganz bestimmte Tradition gegeben: Ich ging da mit meinen Eltern zu den Großeltern, die ja aus Oberschlesien vertrieben worden waren, und dort gab es dann immer einen "Schlesien-Abend". Meine Großeltern waren ja schon im März, April 1945 vor der Roten Armee aus Oberschlesien geflüchtet. Nach dem 8. Mai sind sie dann wieder zurückgegangen: Für viele ist das heute etwas Überraschendes, aus der damaligen Sicht war das überhaupt nichts Ungewöhnliches. Sie dachten, dass der Westen von Deutschland ein vom Krieg ruiniertes Land darstellt, in dem eine große Ernährungsnotlage herrscht. Sie dachten: "Dort, in Oberschlesien, haben wir wenigstens unser Haus, dort sind wir wer, dort kennt man uns!" So sind eben auch meine Großeltern nach Oberschlesien zurückgegangen. Das war im Juni 1945. Und siehe da, in ihrem Haus lebte schon eine andere Familie, eine gleichfalls vertriebene Familie polnischer Herkunft aus der Lemberger Gegend. Sie bewohnten dann dort eben ein konfisziertes deutsches Haus. Meine Großmutter, und das war für sie ein wirkliches Trauma, durfte nicht mehr in ihr eigenes Haus gehen. Sie wollte ihre von der Flucht verschlissenen Schuhe wechseln gegen ein paar Schuhe aus ihrem Haus. Man ließ sie aber nicht mehr hinein. Man sagte ihr nur: "Frau Knopp, gehen Sie schnell weg, sonst kommen Sie nach Sibirien!" Dieses merkwürdige Erlebnis mit den Schuhen war für meine Großmutter viel belastender, viel dramatischer, als alle anderen weiß Gott schlimmen Erlebnisse während der Flucht und auf dem späteren Vertreibungsweg durch die Tschechoslowakei zusammen mit meinen beiden Tanten, ebenfalls attraktiven jungen Frauen. Und dort sind weiß Gott schlimme Dinge passiert. Sie haben sich dann in Bayern wiedergefunden. Ein typisches Schicksal: Man ging dorthin, wo der Erste einen Job erhielt. Meine Tante kannte den damals frisch ernannten Oberbürgermeister von Aschaffenburg. Er hat ihr erstens eine Wohnung und zweitens einen Job als Lehrerin verschafft. So fand sich dort eben die Familie zusammen. Wir hätten genauso gut in Leer in Ostfriesland, in Freiburg im Breisgau oder in Landshut in Niederbayern leben können. Nun, es war eben Aschaffenburg. Freitagabends nun gab es immer, wie gesagt, diesen "Schlesien-Abend". Das war für mich als Kind und als pubertierender Knabe natürlich ein bisschen lästig: Da gab es schlesische Gerichte, da gab es Mohn und Thymian und "Himmel und Erde" usw. Und es gab wehmütige Erinnerungen an die alte Heimat. Für einen 12-, 13-, 14-Jährigen, der diese Heimat nicht kennt, ist das natürlich langweilig. "Schon wieder Freitagabend, schon wieder 'Schlesien-Abend'! Muss ich da wirklich mitgehen?" Was bekam ich als Antwort? "So lange du deine Beine noch unter meinen Tisch streckst..." Sie kennen ja sicherlich auch diese Sprüche aus den frühen sechziger Jahren. Gut, ich ging also mit. Es hat recht lange gedauert, bis ich die Großeltern verstanden habe: dass der Verlust von Heimat ein Schmerz ist, der bleibt und der auch ein Recht darauf hat, zu bleiben. Dass ich mich nun in den letzten Jahren so viel damit beschäftigt habe, ist auch ein bisschen ein Akt von Wiedergutmachung an meinen Großeltern.

Flemmer: Sie hatten aber nie den Gedanken, dorthin zurückzukehren? 

Knopp: Nein.

Flemmer: Ich habe das in der eigenen Familie ja ähnlich erlebt: Meine Frau stammt ebenfalls aus Oberschlesien. Bei ihr war es so, dass da meine Schwiegermutter mit vier kleinen Kindern plötzlich in Bayern aus dem Zug ausgeladen worden ist. Sie verstanden kein Wort: Sie sprachen eine andere Sprache als dort im tiefsten Niederbayern. Sie mussten sich zuerst einmal akklimatisieren bzw. assimilieren. Aber sie wollten dann eben auch nicht zurück, weil sie sagten: "Die dort drüben haben uns ja alles genommen. Damit ist das sozusagen abgeschlossen! Unsere neue Heimat ist hier!" Das heißt, man kehrt dann vor allem als Nachgeborener wohl nicht zu diesen Wurzeln zurück. Aber, und damit komme ich zu meiner nächsten Frage, in einem neuen Europa wird dann ja diese Form der Mobilität vorhanden sein, sodass diese Differenzen ausgeräumt sein werden. Wobei es ja erfreulicherweise so ist, dass mit den Polen das Verhältnis wesentlich besser ist als mit der Tschechischen Republik, denn dort gibt es im Augenblick ja große Schwierigkeiten. Kommen wir zurück zu Ihren Lebensläufen, wie man vielleicht auch sagen kann, denn Sie haben dann 1975 in Würzburg im Fach Politik und Geschichte promoviert. Danach haben Sie einen journalistischen Weg eingeschlagen. Wollten Sie eigentlich je ein Universitätshistoriker werden?

Knopp: Nein, ich wollte immer in den Journalismus. Ich habe schon während meiner Schülerzeit für die Lokalzeitung geschrieben. Das war eben dieser klassische Weg: Ich fing an beim "Main-Echo" in Aschaffenburg. In der Studienzeit habe ich dann für Frankfurter Zeitungen geschrieben: Für die "Neue Presse", für die "FAZ" und schon damals für die Lokalausgaben. Für mich war es immer klar, dass ich eines Tages Journalist werden möchte. Ich habe ganz bewusst Geschichte und Politik studiert, hätte aber nie gedacht, dass ich mein Hobby, denn Geschichte war im Prinzip seit meinen frühen Kindertagen mein Hobby, eines Tages zu meinem Beruf machen könnte. Ich habe mich daher auch in den ersten Jahren meiner Berufslaufbahn ganz breit bewegt: Ich arbeitete im Ressort "Politik" im weitesten Sinne. Ich war dann bei Hubert Burda in seinem Verlag das, was man schon damals Trainee nannte. Ich habe bei der "Welt am Sonntag" in Hamburg Zeitgeschichte und dann auch Außenpolitik gemacht. Für kurze Zeit war ich dort dann Auslandschef. Ich ging dann zur "FAZ" und habe dort ebenfalls Außenpolitik gemacht: Ich war für Afrika zuständig. Das waren alles Lehr- und Wanderjahre, bei denen man Erfahrungen sammelt. Danach ging ich dann aber doch recht bald zum ZDF und machte dort eine Reihe auf, die eigentlich so ähnlich wie unser heutiges Gespräch strukturiert war. Sie hieß "Fragen an die Zeit".

Flemmer: Davor hat es auch noch die "Aschaffenburger Gespräche" gegeben, die Sie ebenfalls initiiert haben. Bleiben wir doch noch einen Augenblick beim schreibenden Journalismus. Ich habe meinen jungen Kollegen immer wieder gesagt, dass man ihnen nur wünschen kann, sie sollten möglichst bei einer Lokalzeitung anfangen.

Knopp: So ist es.

Flemmer: Dort sollen sie ihren Polizeibericht schreiben, ihre kleinen Artikel schreiben usw. Denn das Schreiben lernt man eigentlich weniger beim Fernsehen, sondern bei einer Tageszeitung, die gar nicht klein genug sein kann. Denn diese Übung, in kürzester Zeit etwas aufs Papier bringen zu müssen, das dann auch wirklich sitzt, lässt sich durch nichts ersetzen. Insofern sehe ich den Journalismus eigentlich immer genau dort verankert. Ich habe den Eindruck, dass Sie das ebenfalls genauso erfahren haben.

Knopp: Da bin ich völlig d'accord. Ich sage immer meinen jungen Leuten, dass ich diese Erfahrung nicht missen möchte, auch unter Zeitdruck etwas schreiben zu müssen. Bei mir war es freilich so, dass ich mich dazu zwingen musste und dass mich mein Chefredakteur dazu zwingen musste, auch mal handfeste, ordentliche Berichte über Kaninchenzüchtervereine, SPD- oder CSU-Ortsvereine zu schreiben. Denn am Anfang geriet bei mir immer alles gleich zur Satire. Das waren alles diese Kursivberichte in den Kästen: Ich machte unheimlich gerne Satiren.

Flemmer: Das können Sie dann ja in einem dritten Beruf in Ihrer Pensionszeit aufgreifen.

Knopp: Ja, natürlich. Ich musste mich jedenfalls zwingen lassen, auch mal handfeste Berichte über bestimmte Sachverhalte zu schreiben. Aber es war eine tolle Erfahrung, eine tolle Lehre. Wer formulieren kann, wer eine Begabung fürs Formulieren hat und wer gerne schreibt, hat schon mal eine wesentliche Voraussetzung auch fürs Fernsehen. Denn wenn das nicht da ist, dann geht das dort eigentlich auch nicht.

Flemmer: Ja, natürlich. Ohne Kommentare geht es eben auch nicht.

Knopp: So ist es. Das Bildliche kann man sich eben leichter anlernen als das Inhaltliche. Das Inhaltliche muss als Basis immer schon vorhanden sein.

Flemmer: Bleiben wir mal noch ein wenig bei der Person Guido Knopp. Sie sind bekanntgeworden,SiesindheuteeinStar:Führtdas –völligwertfrei betrachtet – auch zu einer gewissen Eitelkeit? Man wird erkannt auf der Straße, man ist wer, man wird eingeladen: Wie bewältigen Sie das?

Knopp: Das Erkanntwerden auf der Straße hält sich Gott sei Dank noch in Grenzen. 

Flemmer: Weil Sie natürlich auch nicht mehr so häufig auf dem Schirm erscheinen.

Knopp: Genau. Es kommt natürlich schon immer wieder mal vor, dass mich jemand auf der Straße anspricht. Wenn das von netten Begleitumständen geprägt ist, dann ist das auch völlig in Ordnung. Das sind ja Zuschauer: Zuschauer muss man gut behandeln, Zuschauer sind unsere Klientel.

Flemmer: Sie sind quasi auch unsere Kunden.

Knopp: Richtig. Ich stelle mich, wenn ich meinetwegen irgendwelche Widmungen usw. schreiben soll. Das mache ich wirklich gerne, das ist schon o. k. Unangenehme Begleiterscheinungen gibt es selten. Es gab mal vor ein paar Jahren so eine üble Kette von Morddrohungen. Das bleibt einfach nicht aus, wenn man sich mit bestimmten Themen beschäftigt: Da muss man eben sein privates Telefon abmelden, sodass man da privat nicht mehr präsent ist.

Flemmer: Es gibt auch das Mittel der Telefonüberwachung.

Knopp: Ja, die gab es auch. Die Drohungen richteten sich an das Zweite Deutsche Fernsehen: Das ist auf dem Lerchenberg und der Lerchenberg ist schon eine sehr starke Festung!

Flemmer: Wie entspannen Sie sich? Sie sind, wie man fast sagen könnte, ein Workaholic, wenn man all das betrachtet, was in den letzten Jahren aus Ihrer Werkstatt gekommen ist. Haben Sie in Ihrem Refugium in Florida eigentlich Zeit, sich zu entspannen? Liegt das einfach zu weit ab für all diese Tätigkeiten, die Sie sonst ausüben?

Knopp: Ich bemühe mich natürlich auch, mich in meinem Refugium in Deutschland zu entspannen. Ich glaube, es geht jedem von uns so, dass man mit den Jahren lernt, die Zeit als ein sehr kostbares Gut einzuschätzen, mehr, als das vielleicht Mitte 30 oder Anfang 40 noch der Fall war. Man kann auch mit seiner Zeit ein bisschen besser umgehen. Für mich ist es ganz wichtig, dass ich vor allem am Wochenende – es sind wirklich die Wochenenden, die es bringen – viel Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern verbringe. Da kommt es dann nicht auf die Quantität der Zeit an, sondern darauf, dass man sich in den zwei, drei Stunden, in denen man sich mit seinen Kindern vergnügt oder mit ihnen sonst irgendetwas Sinnvolles macht, ganz auf sie konzentriert. Das halte ich für sehr, sehr wichtig. Das ist nicht nur Entspannung: Das ist auch eine Aufgabe, eine schöne Aufgabe und auch irgendwie im Prinzip der Sinn des Lebens. Ansonsten spiele ich zur puren Entspannung mal ein bisschen Schach oder auf dem Cello. Wenn ich in Florida bin, dann faulenze ich richtig.

Flemmer: Haben Sie denn noch Kontakt zu Ihren Kindern aus der ersten Ehe?

Knopp: Ja, wir haben da auch noch Kontakt. Sie sind schon groß und studieren z. T. bereits. Wir sehen uns alle zwei, drei Wochen. Wir sind auch mal bei uns in Florida im Urlaub zusammen. Wir machen auch sonst gelegentlich etwas zusammen. Jetzt fliegen wir z. B. von diesem fabelhaften neuen Flughafen Frankfurt-Hahn aus, der 120 Kilometer weit von Frankfurt entfernt im Hunsrück liegt, nach Pescara in Italien und erkunden mal diese für mich recht unbekannte Küste in Italien.

Flemmer: Ihre Frau ist Studienrätin: Welche Fächer unterrichtet sie?

Knopp: Sie hat Germanistik und Slawistik studiert, und zwar in Moskau. 

Flemmer: Das passt ja gut zusammen.

Knopp: Ja, das passt gut zusammen. Sie hat auch in Deutschland studiert: 1989 studierte sie in Leipzig und ist damit eine Zeitzeugin für die Deutsche Revolution, die Deutsche Wende, obwohl die ungarischen Studentinnedamals in Leipzig so etwas von kaserniert waren, dass sie diese Montagsdemonstrationen gar nicht erleben durften. Man sagte immer, das sei gefährlich, sie sollten dort nicht hingehen, weil dort nur Verrückte oder Chaoten demonstrieren würden. Sie hat also alles nur im Nachhinein von mir und aus der Lektüre erfahren: all das, was damals vorgefallen ist. Aber sie ist tatsächlich de facto eine Zeitzeugin.

Flemmer: Kommen Sie eigentlich noch dazu, Ihre nicht unerheblichen Einkünfte auch zu verbrauchen?

Knopp: Haha, das ist sehr nett formuliert, Herr Flemmer. Erstens sorgte früher Herr Waigel und sorgt nun Herr Eichel schon mal dafür, dass diese Einkünfte auf ein bürgerliches Maß reduziert werden. Das ist schon mal Fakt. Außerdem bin ich gerade unter die Häuslebauer gegangen: Wenn man das aber mal für sich beschlossen hat, dann stellt sich das doch wie ein Fass ohne Boden heraus.

Flemmer: Ich hoffe, Sie haben gute Handwerker. Kommen wir zu Ihren professoralen Tätigkeiten. Sie haben ja bereits 1988 einen Lehrauftrag an der Universität in Gießen angenommen. Das war alles immer noch im Bereich der Journalistik. Dann kam Ihre Berufung zum Professor durch Baden- Württemberg. Wenn ich mir heute das Munzinger-Archiv oder Verlautbarungen des ZDF so anschaue, dann stelle ich fest, dass es da doch eine kleine Differenz gibt: Sie sind Direktor an der Hochschule der Gustav-Siewert-Akademie bzw. Direktor einer wissenschaftlichen Hochschule. Welche Hochschule war das denn?

Knopp: Ich war das mal. Das ist eine private Hochschule in Baden-Württemberg, die nur drei Fächer lehrt und sich darauf konzentriert hat. Das ist also eine sehr kleine Hochschule, an der man Philosophie, Soziologie und Journalistik studieren kann. Das ist eine Hochschule, die eine eher katholische Prägung hat, die aber dann doch so tolerant ist, einen Protestanten wie mich auszuhalten. Der journalistische Bereich ist dort an dieser Hochschule sozusagen der weltliche Bereich. Ansonsten lehren bzw. lehrten dort doch einige Nobelpreisträger wie z. B. Sir John Eccles oder Kardinäle wie Joseph Kardinal Ratzinger. Ich kümmere mich dort also um den journalistischen Bereich, habe aber den zeitlichen Aufwand für meine dortige Arbeit doch etwas reduziert.

Flemmer: Sie sind also nicht mehr Direktor?

Knopp: Nein, ich war das mal in der Gründungsphase während der ersten zwei, drei Jahre. Heute konzentriere ich mich auf drei Tage im Semester, die ich dort bin und wo ich dann auch sehr intensiv in Blockseminaren mit den Studenten arbeite. Die Studenten kommen dann auch mal nach Mainz zu einer so genannten "Mainzer Woche", bei der sie praktische Erfahrungen sammeln sollen. Das ist immer sehr beliebt, sodass es dafür eine richtige Warteliste gibt. Dieser Beruf übt auf junge Leute eben eine immer stärkere Attraktivität aus. Ich merke das ganz genau. Die jungen Leute, die sich dort an der Akademie anmelden, melden sich z. T. gar nicht wegen Philosophie und Soziologie an, sondern wegen es dortigen Nebenfachs Journalistik.

Flemmer: Diese Studenten müssen wohl Studiengebühren zahlen, weil das ja eine private Hochschule ist.

Knopp: Ja, sie müssen natürlich Studiengebühren bezahlen. Die meisten machen dort einen Magisterabschluss. Manche promovieren dann aber auch noch.

Flemmer: Das ist eine staatlich anerkannte Hochschule?
 

Knopp: Ja.


Flemmer: Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages auch mal Geschichte zu lehren? 

Knopp: Ich tue das de facto im journalistischen Bereich ohnehin bereits. Denn manlehrt ja Journalistik als die Lehre des Vermittelns von etwas am besten immer in Bezug auf das, was man vermittelt, also in Bezug auf das handfeste Fach. Die Umsetzung von Journalistik im Fernsehen bezieht sich ja bei mir auf die Zeitgeschichte im breitesten Sinne. Die Studenten lernen am meisten, sagen sie, wenn man mit ihnen Workshops veranstaltet. Dazu kommen dann auch Mitarbeiter von mir für ein oder zwei Tage dorthin, um dann mit den Studenten mal ganz praktisch einen Film zu betexten. Wir texten also mit ihnen eine 45-minütige Dokumentation in Echtzeit: Genauso wie wir das alleine in Mainz in unserem "Dichterstübchen" machen würden, machen wir das eben mit den Studenten dort. Sie sehen dann in Echtzeit, wo die Herausforderungen liegen, was man tun kann, was man lassen kann, dass man keine Bild-Text-Scheren fabriziert usw. Das ist also eine Geschichte, bei der sie meiner Meinung nach am meisten profitieren.

Flemmer: Kommen denn auch mal Absolventen von dort zu Ihnen in die Redaktion?

Knopp: Zwei waren das bisher: Mit die zwei Besten haben nun schon mal für längere Zeit als freie Mitarbeiter bei uns gearbeitet. Einer ist jedoch aus familiären Gründen zurück nach Berlin gegangen: Er hat ein Kind bekommen. Der andere ist noch bei uns und entwickelt sich sehr gut. Ich habe ja die Gnade, mit meinen jungen Leuten sehr viel Glück zu haben: Alle meine jungen Leute in der Redaktion sind mittlerweile Absolventen von Hospitanzen bzw. Volontariaten bei uns. Bei mir laufen pro Jahr so ungefähr 60 bis 70 Hospitanzen durch. Ich sage da immer ein bisschen scherzhaft: "Alle drei Jahre läuft ein Genie durch die Gänge, wird erkennungsdienstlich behandelt und dann engagiert!" Es wird also wieder einmal Zeit, dass ein Genie kommt. Das Letzte ist nun schon wieder ein paar Jahre her.

Flemmer: Das sind mittlerweile aber doch ganz schön viele Genies. Normalerweise findet sich ja nicht alle zwei, drei Jahre eines. Wie hat es denn eigentlich für Sie beim ZDF angefangen? Haben Sie sich dort beworben? Sie sagten vorhin, dass es für Sie schon immer ein Ziel gewesen sei, beim Fernsehen zu landen. Sie kamen als schreibender Redakteur dort an: Wie waren da die ersten Monate und Jahre für Sie?

Knopp: Ich habe angefangen als Mensch, der sich mit der Koordination von Programmdirektion und Chefredaktion zu befassen hatte. Das war eher ein Verwaltungsjob: Diese Planstelle war halt gerade frei. Für das Kennenlernen dieses Hauses in beiden Direktionen war das jedoch sehr gut. Ich war der Vertreter der Programmdirektion in den Sitzungen der Chefredaktion und lernte dabei natürlich auch die dortigen Kollegen kennen. Ich merkte dann sehr bald, dass dieser eher politische Bereich derjenige Bereich ist, der mir mehr liegt. Ich streckte also so allmählich meine Fühler aus und wie es eben so kommt: Nach eineinhalb Jahren übernahm ich die Reihe "Fragen zur Zeit". Das war eine Reihe, die jeden Sonntag ausgestrahlt wurde: Gespräche von zehn Minuten Dauer mit deutschen Professoren. So etwas konnte man damals in einem nationalen Vollprogramm noch machen.

Flemmer: Heute wäre das völlig undenkbar.

Knopp: Es hatte auch gar keine schlechten Einschaltquoten: Wenn man das in Marktanteile umrechnete, dann waren das immer so zwischen 18 und 20 Prozent. Die Leute hatten damals auch noch keine so große Auswahl, das stimmt schon.

Flemmer: Eine Kollegin aus Ungarn sagte mir mal: "Wissen Sie, wir tun uns da leicht. Wenn wir abends um 20.15 Uhr einen Russischkurs ins Programm setzen, dann müssen alle Ungarn zusehen!" Sie hatten damals nämlich nur ein Programm. Aber diese Zeit ist natürlich längst vorbei.

Knopp: Es waren jedenfalls interessante Gespräche mit deutschen Professoren, mit deutschsprachigen internationalen Professoren. Für mich war das derideale Weg, um als Mann aus den Printmedien, also als "Inhalts"-Mann, ins Fernsehen hineinzukommen, denn das war in bildlicher Hinsicht doch eine recht konzentrierte Angelegenheit: zwei Menschen, die sich, wie wir beide nun, gegenüber sitzen und die versuchen, in zehn Minuten etwas Vernünftiges zustande zu bringen. Ich habe dann aber schon bald herausgefunden, dass wir beim ZDF unter einem speziellen Defizit litten: Wir hatten keine historische Redaktion. Die ARD hatte damals schon sechs oder sieben historische Redaktionen in den Landesrundfunkanstalten. Wir dagegen hatten keine einzige. Die Historie war etwas, das so nebenbei mitlief. Wie es dann eben so ist: Man macht Denkschriften, die diesen Zustand attackieren und schlägt bestimmte Dinge zur Abhilfe vor. Diese Denkschriften und Briefwechsel summierten sich dann im Laufe der Zeit. Ich glaube, innerhalb von drei Jahren waren das dann an die drei Leitzordner. Danach war dann die Lage so, dass man eine solche Redaktion gründen konnte: Der Intendant war überzeugt, der Chefredakteur war überzeugt usw. Wir haben das also gegründet und die Sache fing eigentlich sehr klein an. Man musste die Redakteure dafür mit dem Lasso einfangen und sie sollten von der Sache auch ein bisschen was verstehen. Wir haben also außer mir mit zwei Redakteuren und einer Studentin als Hilfskraft für die Schreibarbeiten begonnen. Das war also der Anfang und so konnten wir endlich historische Dokumentationen machen. Wir haben damit im Jahr 1985 begonnen und ich denke, dass das dem ZDF sehr gut getan hat. Heute ist dieser Bereich ein Bereich, von dem der vor kurzem ausgeschiedene Intendant Dieter Stolte immer wieder sagte, er sei nicht zuletzt im internationalen Vergleich eines der Vorzeigefelder des ZDF.

Flemmer: Das beinhaltete ja auch eine Wanderschaft von etwas abseits gelegenen Sendezeiten in die Primetime.

Knopp: Das war ein harter Kampf.

Flemmer: Für eine Fachredaktion ist das nicht einfach, denn normalerweise sind diese Sendezeiten ja der großen Unterhaltung vorbehalten.

Knopp: So ist es. Das war wirklich ein harter Kampf. Wir begannen um 22.05 Uhr. Danach hatten wir dann aufgrund einer Strukturreform den Sendebeginn um 22.15 Uhr, denn das "heute-journal" war länger geworden. Auf diesem Sendeplatz blieben wir zunächst recht lange. Ab dem Jahr 1995 aber habe ich mal begonnen, die Fühler nach einem früheren Sendeplatz auszustrecken. Ich war noch nicht so vermessen, gleich auf 20.15 Uhr zu gehen, 21.00 Uhr wäre auch gut gewesen. Wenn schon, dann wäre wir aber in der Tat 20.15 Uhr lieber gewesen. Mit der Reihe "Hitlers Helfer" ist es im Jahr 1997 auch tatsächlich gelungen, diesen Sendeplatz zu erobern. Seitdem konnten wir diesen Platz halten. Das war nicht einfach gewesen: vor allem nicht bei Themen, die nicht von vornherein die großen Zuschauermassen vor die Bildschirme locken, bei Themen, die außerhalb dieser Zeit der Grenzerfahrungen der Nazizeit angesiedelt waren. Für unsere Reihe über die Päpste hat das z. B. so gegolten. Aber es ist uns doch gelungen, diesen Sendeplatz zu behaupten und diese Reihe zu etablieren. Heute ist das daher ein Sendeplatz geworden, der innerhalb des Hauses für uns sehr sicher ist. Aber das bedeutet für uns natürlich auch, dass wir uns bei der Themenauswahl konzentrieren müssen. Das heißt, wir können keine Themen wählen, die nicht zu diesem Sendeplatz passen.

Flemmer: Sie müssen für breite Zuschauerschichten produzieren. Wie überall auch bei den großen nationalen Programmen müssen Sie die Menge der Zuschauer erreichen: egal, wie man sonst diese ganze Landschaft betrachtet. Sie haben heute ja eine riesige Redaktion. Ich nehme an, dass sich damit auch Ihr ganzer Arbeitsstil verändert hat. Ist dabei der Autor Guido Knopp mehr in den Hintergrund getreten? Müssen Sie heute mehr leiten und organisieren und die Kollegen auf die Spur bringen? Früher, mit zwei, drei Kollegen wird das ja vermutlich ein ganz anderes Arbeiten gewesen sein.

Knopp: Ja, das ist leider so. Notwendigerweise muss man sich eben mehr auf die administrativen Dinge zurückziehen. Aber es ist schon so, dass ich auch heute noch, um den Stil dieser Filme zu garantieren, am Anfang und am Ende der Filmherstellung doch sehr intensiv mit dabei bin. Am Anfang bin ich natürlich vor allem bei der Konzeption einer Reihe mit dabei: Alleine eine Reihe ist ja heute in dieser Fernsehlandschaft der vielgestaltigen Darbietungen dafür geeignet, dass das ein Ereignis über die reine Fernsehausstrahlung hinaus sein kann, dass das zum Gesprächsthema werden kann. Eine noch so gut gemachte Einzelsendung bekommt das nicht zustande.

Flemmer: Eine Reihe bindet eben auch Zuschauer.

Knopp: Genau, sie ist für mehrere Wochen Gesprächsthema auch in den Zeitungen, auch durchaus durch die Pro- und Kontra-Stellungnahmen. Denn es ist ja der Sinn eines öffentlich-rechtlichen dokumentarischen Fernsehens, dass es Gesprächsstoff bietet. Ich bin also am Anfang bei der Konzeption, bei der Gestaltung mit dabei. Dann gehen die Teams los und sind frei: Sie gehen in die Archive, gehen zu den Zeitzeugen usw. Bei uns ist ja auch dieser Stil eingeführt worden, die Zeitzeugen vor neutralem Hintergrund auftreten zu lassen: schwarzer Hintergrund mit entsprechender Lichtgestaltung. Dies bietet den Vorteil, dass man Zeitzeugeninterviews, die man mal gemacht hat, auch Jahre später noch einsetzen kann, weil sie auf diese Weise immer frisch wirken. Dann bin ich natürlich wieder am Ende mit dabei bei den diversen Stationen eines solchen Filmes: Rohschnittabnahme, Feinschnittabnahme. Beim Texten bin ich dann wieder intensiv mit dabei.

Flemmer: Sie bekommen also die Drehbücher zu sehen, den Rohschnitt und dann das fertige Produkt?

Knopp: Ja, aber da kommt natürlich schon noch mehr. Wenn die Änderungen am Rohschnitt abgesprochen sind, dann setzen wir uns mindestens noch einmal einen Tag lang für den Kommentar zusammen. Da bin ich dann schon auch immer sehr intensiv mit dabei. Denn es ist wichtig - und auch unsere ausländischen Partner erwarten das -, dass die Handschrift, die mit meinem Namen verbunden ist, in diesem Produkt wiederzuerkennen ist. Unsere ausländischen Partner empfangen ja von uns Zeitgeschichte: Es sind immerhin 55 Länder, in die diese Dokumentationen gehen. Ich kann mich hier also nicht so zurückziehen, wie ich das aus zeitökonomischen Gründen vielleicht gerne machen würde.

Flemmer: Sie haben von der Handschrift gesprochen: Diese Handschrift ist wirklich sehr erkennbar, wie man sagen kann. Haben Sie sie ganz neu erfunden oder hat es dafür Vorbilder vor allem im angelsächsischen Raum gegeben?

Knopp: Im Hinblick auf die Zeitzeugeninterviews gibt es ein konkretes Vorbild aus einem amerikanischen Spielfilm, bei dem es mir wie Schuppen von den Augen gefallen ist. Es gibt da den Spielfilm "Reds": Dabei geht es um zwei Amerikaner, die die russische Oktoberrevolution erlebt haben und die tatsächlich reale Gestalten sind. In diesen Spielfilm sind dann Personen der Zeitgeschichte integriert worden, die diese beiden Amerikaner noch realiter gekannt haben. Diese Interviews sind gut ausgeleuchtet vor schwarzem Hintergrund aufgenommen worden. Als ich das auf der großen Kinoleinwand gesehen habe, hat mich das so fasziniert, dass ich mich gefragt habe, warum wir das eigentlich nicht auch im Fernsehen machen. Denn im Fernsehen sieht man doch bei diesen Interviews normalerweise immer diese schrecklichen Hintergründe: Da kann man die Kante eines Bildes sehen, das Eck eines Bücherbords oder halb angeschnitten einen Vorhang sehen. Das sind alles irritierende und verstörende Elemente der Gegenwart, die da in die historische Zeitebene gebracht werden. Ich wollte diese Menschen, diese Zeitzeugen, in der historischen Zeitebene sprechen lassen: Sie sprechen gleichsam aus dem neutralen Dunkel der Geschichte heraus und bleiben dabei immer in der Zeitebene der dreißiger, vierziger oder gar fünfziger Jahre. Das ist zwar durchaus ein wichtiges Element dieser Filme, aber im Prinzip geht es dabei viel mehr um die Art des Schnitts, um die Art der Kommentierung. Der Text muss verstehbar sein und gleichzeitig für den Universitätsprofessor ebenso attraktiv wie für den Arbeiter von der Werkbank, der abends nach Hause kommt und sich eigentlich unterhalten lassen will. Auch wenn die Zuschauer also im Prinzip gar nicht auf solche Dokumentationen eingestimmt sind, sollen sie doch durch die Art der Darbietung so gebannt und gefesselt werden, dass sie dran bleiben und dabei, wie wir hoffen, auch etwas lernen können.

Flemmer: Der Idealfall für den Zeithistoriker auch im Fernsehen würde ja darin bestehen, dass man auch tatsächlich die realen Dokumente hat: Der Idealfall wäre also, wenn bereits damals jemand einen Film mitgedreht hätte. Es gibt dafür auch herausragende Beispiele. Ich habe nämlich als Jurymitglied in Japan mal mitgeholfen, einen amerikanischen Dokumentarfilm über die Kubakrise zu prämieren. Sie kennen diesen Film sicherlich auch. Für mich war es atemberaubend, dass diese Filmemacher damals genau in diesen Minuten, in denen eigentlich der Weltuntergang geplant war, die Kamera draufgehalten haben. Da kann man McNamara sehen, der nach draußen zu den Journalisten geht und sagt: "In ein paar Minuten wird die Welt untergehen!" Danach sieht man das Telefonat von Chruschtschow hinein in diesen Raum von Kennedy, der in seinem Schaukelstuhl sitzt. Wo sonst findet man aber solche filmischen Dokumente? Das ist natürlich so gut wie nie der Fall. Die Zeitgeschichte in bestimmten Formaten, in bestimmen Reihen darzubieten, haben Sie wie niemand anderer in den verschiedenen Sendern promoviert. Das alles hat sich natürlich erst über die Jahre aufgebaut. Sie haben schon von den weniger attraktiven, aber dennoch möglicherweise nicht weniger wichtigen Themen gesprochen. Im Vordergrund Ihrer Arbeit stand ja jetzt über lange Jahre das Dritte Reich: die Aufarbeitung einer ganz entscheidenden Zeit des vergangenen Jahrhunderts in Europa. Da ging es um die vielen Traumata, die sich damit verbinden, bis hin zum Thema von "Flucht und Vertreibung", einer eigenen großen Serie. Das alles aufzuarbeiten ist ja eine Sisyphusarbeit. Wie geht es Ihnen denn selbst bei dieser Arbeit? Kommt man dabei als Historiker nicht auch an die Grenzen unseres Mediums, sodass man sagen muss, darüber könne man nur noch schreiben, weil sich das alles trotz großer Bemühungen filmisch nicht mehr darstellen lässt?

Knopp: Man stößt immer wieder an diese Grenzen, aber es ist auch eine Herausforderung, diese Grenzen genau auszuloten, die Grenzen des Mediums zu testen, die Grenzen der dokumentarischen Darstellung zu testen. Es geht auch darum, Lehren zu ziehen aus den Resonanzen auf unsere Filme im Hinblick darauf, was geht und was nicht geht. Daraus muss man eben den Schluss ziehen, dass sich bestimmte Vermittlungsformen für bestimmte Themen eignen und andere nicht. Ich habe ganz konkrete Lehren aus den letzten Jahren und auch aus den Experimenten, die wir gemacht haben, gezogen. Wir hatten vor einiger Zeit mal eine Reihe, in der wir u. a. die Personen Eichmann und Mengele porträtieren mussten. Über diese Personen gibt es keine Filmdokumente. Da sind meine temperamentvollen jungen Leute – und ich habe sie dabei sehr unterstützt – auf die Idee gekommen, den Versuch zu machen, dies doch mal szenisch darzustellen. Ich sagte zu: "Ja, lasst uns das mal versuchen!" Wir haben dann tatsächlich versucht, in eine dokumentarische Darstellung nachgespielte Szenen zu integrieren. Diese Szenen waren natürlich alle belegt durch Zeitzeugen, es hat lediglich kein Bildmaterial von diesen Szenen gegeben. Für dieses Unterfangen sind wir kräftig gescholten worden, bin vor allem ich kräftig gescholten worden. Das ist auch in Ordnung so. Ich sage nämlich meinen Leuten immer: Wenn es Preise gibt, dann sage ich: "Ihr und wir gemeinsam haben diesen Preis bekommen! Wenn es aber Kritik geben sollte, dann stelle ich mich vor euch." So muss es sein, das ist, wie ich meine, meine Aufgabe. Die Lehre aus all dem sieht nun so aus: Wenn man solche Themen präsentiert, ist es meiner Meinung nach notwendig zu sagen, dass man vom Fernsehspiel her kommt und dort dann die dokumentarischen Elemente als Ergänzung einfügt. Damit präsentiert man dann gleich ein Dokudrama. Dort wird einem so etwas verziehen. Wenn man aber sagt, man mache eine Dokumentation und fügt dann gespielte Szenen hinzu, dann wird einem das nicht verziehen. Eigentlich ist das für den Zuschauer völlig egal.

Flemmer: Ich habe auch das Gefühl, dass Sie solche Elemente in der letzten Zeit etwas zurückgenommen haben.

Knopp: Ja, wir haben das zurückgenommen. Wir haben nämlich auch die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Themen, die wir in den letzten Jahren präsentiert haben, diesen ursprünglichen Bildermangel gar nicht hatten. Wir konnten uns also rein auf die bereits vorhandenen Bilder konzentrieren. Bei derReihe"FluchtundVertreibung"hattenwirja -wieinvielenanderen Fällen auch - überhaupt keine szenischen Darstellungen mehr integriert. Wir haben uns auf die Archivmaterialien konzentriert. Es gibt hierbei ja viele neue und interessante Dokumente aus privaten Archiven, z. B. auch aus russischen Archiven. Wir haben bei dieser Reihe die Zeitzeugen noch stärker eingebunden und haben sie auch länger reden lassen. Ich glaube, es war auch für unseren eigenen inneren Lernprozess wichtig zu verstehen, dass man den Leuten doch noch länger Gelegenheit geben sollte, sich auszudrücken und dass man das Hektische, das Kurze, zu dem wir vor ein paar Jahren ja selbst noch geneigt haben, in einem inneren Disziplinierungsprozess ganz bewusst zurückdrängen muss. Das ist auch so ein interessanter Diskussionspunkt zwischen meinen jungen Leuten und mir: Sie neigen schon immer dazu, etwas hektischer und kürzer zu schneiden.

Flemmer: Die werden aber auch älter mit der Zeit.

Knopp: Ja, genau, das entwickelt sich meiner Meinung nach tatsächlich. Eine ganz wichtige Erfahrung aus all dem war, dass ich den Bereich des Dokudramas stärker in den Vordergrund rücken will. Wir haben ja schon im Jahr 1999 bzw. im Jahr 2000 mit einem solchen Dokudrama über die deutsche Wiedervereinigung begonnen: Das war das "Deutschlandspiel". Wir haben jetzt im Oktober 2002 ein Dokudrama über die Kubakrise. Nächstes Jahr machen wir dann zum 50. Jahrestag des 17. Juni ein Dokudrama namens "Der Aufstand" über die Geschehnisse des 16. und 17. Juni. Bestimmte historische Sachverhalte lassen sich nämlich mit diesem Dokudrama, das ja Fernsehspielelemente mit reiner Dokumentation und mit Zeitzeugeninterviews verbindet, meiner Meinung noch besser darstellen als mit der puren, schieren Dokumentation.

Flemmer: Dass man mit dem Fernsehspiel und auch mit den Möglichkeiten der Schauspieler im Fernsehspiel etwas transportieren kann, ist sicherlich keine Frage. Kommen wir aber dennoch kurz zurück zu den reinen dokumentarischen Möglichkeiten. Sie nutzen oft Dokumentarmaterial, das damals natürlich nicht deswegen gedreht worden ist, um daraus später einen Dokumentarfilm zu machen. Das heißt, Sie sind immer wieder auch auf Dokumentarstreifen angewiesen, die im Dritten Reich ja auch aus Propagandazwecken produziert worden sind.

Knopp: So ist es.

Flemmer: Dies gilt selbstverständlich auch für die kommunistischen Regime nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Amerikaner oder wen auch immer. Sicherlich spielt das bei der dokumentarischen Behandlung von Diktatureneine stärkere Rolle. Kommt man hier nicht in die Schwierigkeit, sich fragen zu müssen, was einem diese Bilder eigentlich heute sagen können bzw. sollen? Ist das nun nicht vielleicht der Standpunkt von Herrn Goebbels, von Herrn Stalin oder von Herrn Chruschtschow, den ich damit transportiere? Diese Herren donnern da durchs Bild, es geht "marsch, marsch, voraus!" und es knallt und kracht. Auf diese Weise ist damals ja auch die deutsche Bevölkerung über die Wochenschau informiert worden. Es bleibt Ihnen nun gar nichts anderes übrig, als dieses Material zu benutzen.

Knopp: Das ist richtig. Einerseits ist dieses Material nach wie vor eine wesentliche Basis. Aber alleine schon, wenn man den Originalkommentar wegnimmt, wenn man die Originalmusik wegnimmt, wenn man versucht, zu diesen vorhandenen Materialien – und gelegentlich gelingt das – die originalen Schnittreste hinzuzufügen, ergibt sich ein völlig anderes Bild, auch durch eine völlig andere und die Bilder kritisch konterkarierende Kommentierung. Das ist also das eine. Das zweite konterkarierende Element ist, wenn wir versuchen, so viele private Zeugnisse und so viele privat gedrehte Materialien wie möglich hinzuzufügen. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Menschen damals in dieser Zeit der Grenzerfahrung der dreißiger und vierziger Jahre mitgedreht haben. Das ist wirklich erstaunlich. Nach wie vor tauchen da Sachen aus Dachböden, aus Kellern oder aus Erbschaften auf, die uns dann direkt geschickt werden, weil man eben weiß, dass wir damit etwas anfangen können. Das sind dann natürlich Materialien von einer anderen Qualität, weil sie das Bild hinter den Kulissen vermitteln. Das dritte konterkarierende Element sind neben den Kommentaren natürlich die Zeitzeugen.

Flemmer: Das ist klar, zu diesen Zeitzeugen kommen wir gleich. Bei den Dokumentarteilen hatte ich gelegentlich Schwierigkeiten mit der Musik. Ich habe mich gefragt, warum man da unbedingt so ein emotionalisierendes Element mit dabei haben muss. Denn das erinnert doch auch in gewisser Weise an die Musik, die damals die Wochenschauen unterstützte. Braucht es das wirklich?

Knopp: Für den einen ja, für den anderen nicht. Für mich persönlich bräuchte es das nicht ebenso wenig wie für Sie. Und für die Kenner der Materie und für den harten Kern der Geschichtsinteressierten bräuchte es das ebenfalls nicht. Aber erstens ist es eben so, dass wir diese Dinge auf einem Primetime-Platz um 20.15 Uhr präsentieren: Da geht es durchaus auch um den großen Bogen der Bewegung, der Emotionen, der Gefühle, denen die Menschen damals unterlegen waren und die auch ganz legitim vermittelbar sind. Da ist die Musik ein unterstützendes Element. Das ist das eine. Das zweite ist schlicht und ergreifend, dass auf dem internationalen Dokumentarfilm-Markt, wie ich das mal ganz bewusst nennen will, unsere Filme nur dann eine Chance haben, und sie haben eine Chance...

Flemmer: ...wenn sie mit Hollywood-Musik unterlegt sind, wenn ich das mal so direkt sagen darf.

Knopp: ...wenn wir das Ganze auch wie einen Spielfilm präsentieren. Unsere Partner in Amerika, Australien, China, Brasilien oder wo auch immer, sagen uns: "Seit Ihr eure Filme so macht, wie Ihr sie macht, seid Ihr für uns interessant und attraktiv. Ihr seid damit der zweite große Global Player neben der BBC." Diesen Platz wollen wir natürlich behalten.

Flemmer: Sie sind ja nicht gerade ein Freund Ihrer journalistischen Kollegen, die Sie immer wieder "geprügelt" haben, die von "Geschichte in Küchentischhöhe" gesprochen haben usw. Ist das der pure Neid, der die Kollegen packt, wenn sie an Ihre Erfolge denken? Oder was steckt sonst dahinter? Ist das der Kampf der sozusagen etablierten Zunft gegen die leichtfüßige Fernsehaufbereitung?

Knopp: Ich bin vielleicht nicht die beste Adresse, um das zu beantworten. Aber ich will mal versuchen, das zu interpretieren. Zum einen ist ja dieser Spruch bekannt, dass man sich den Neid erst einmal verdienen muss, während man Mitleid überall und immer geschenkt bekommt. Das ist, wie ich denke, schon mal ein wesentliches Element. Der andere Punkt ist natürlich schon die Tatsache, dass Geschichte und Geschichtsvermittlung in Deutschland anderen Bedingungen unterliegt und unterlag als in den angelsächsischen Ländern: Hier bei uns ist es so, dass die inhaltsorientierte, investigative Geschichtsvermittlung gerne von einer Elite, von der reinen Wissenschaft, reklamiert wird. Die Mandarine der Feuilletons fühlen sich da eben auch sozusagen in einer possessiven Deutungsmacht. Wenn man da versucht, die Geschichtsdiskussion zu demokratisieren und sagt, dass der Arbeiter von der Werkbank, dass der kleine Mann, dass der Angestellte, dass die Verkäuferin ebenso ein Recht darauf haben, am Geschichtsdiskurs teilzunehmen und daraus etwas zu lernen, wie der Universitätsprofessor oder der Feuilletonredakteur, dann ist das natürlich ein Kratzen an einer bestimmten Deutungsmacht. Das mag eben auch ein bisschen mitspielen.

Flemmer: Gut, das muss man eben auch aushalten können, wenn man im Rampenlicht steht.

Knopp: Das muss man aushalten können, das gehört dazu.

Flemmer: Würden Sie denn heute bei der Reihe "Hitlers Frauen" Marlene Dietrich immer noch mit dazu nehmen? Denn das ist Ihnen damals ja kräftig vorgeworfen worden. Eine Formulierung in dem Zusammenhang lautete, es sei nicht nur ein Skandal, sondern sogar obszön, so jemanden unter diese "Dämchen" zu mischen, die wirklich etwas mit Hitler zu tun hatten. Würden Sie also heute noch Marlene Dietrich mit hineinnehmen?

Knopp: Ich würde sie heute noch mit 'rein nehmen, aber ich würde heute auch noch jemand anderen, jemand zusätzlichen mit hinein nehmen. Das Blatt, in dem das von Ihnen soeben Zitierte stand, gibt es ja mittlerweile nicht mehr.

Flemmer: Ich weiß.

Knopp: Ich denke, ich habe damals Marlene Dietrich ganz bewusst mit hinein genommen: auch um aufzuzeigen, dass es auch anders ging. Sie war die Gegenfrau! Natürlich war sie nicht Hitlers Frau in einem possessiven Sinne wie all die anderen.

Flemmer: Gut, Gegenfrauen hat es natürlich auch noch viele andere gegeben.

Knopp: Das stimmt, aus dem Widerstand hat es selbstverständlich noch eine Menge solcher Gegenfrauen gegeben. Aber da gibt es eben immer diese Ordnungsüberlegung, die mich dazu bringt zu sagen: "Dafür haben wir eine eigene Reihe, lasst uns das aufheben für das Jahr 2004! Lasst uns das nicht vorher verbraten!" Sie stellt das Gegenmodell dar, wie es eben auch möglich war. Sie ist auch ein bisschen Gegenmodell zu Zarah Leander, die ja der Prototyp der Opportunistin gewesen ist. Marlene Dietrich war das eben nicht! Dieses wollte ich darstellen. Ich wollte auch ein wenig den Charakter der Aussagen der anderen Frauen konterkarieren, die gesagt haben: "Wir mussten ja! Wir sind da hineingetrieben worden!" Nein, mit Marlene Dietrich kann man zeigen, dass es auch anders ging. Das war also der Punkt. Aus der heutigen Sicht würde ich aber noch eine andere Frau mit hineinnehmen. Ich habe damals wirklich sehr geschwankt, ob ich Marlene Dietrich als Gegenfrau mit hineinnehme oder ob ich Traudl Junge, die Sekretärin Hitlers, nehme.

Flemmer: Sie ist ja momentan durch dieses Buch und diesen Film über sie ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Knopp: Genau. Ich habe mich damals für Marlene Dietrich entschieden. Heute würde ich vielleicht doch auch Traudl Junge mit hinein nehmen: auch bedingt durch die Tatsache, dass wir bereits dreieinhalb Stunden Aufzeichnungen mit ihr hatten. Wir hatten sie in den Jahren 1998, 1999 und 2000 bei drei Gelegenheiten aufgenommen und haben dieses Material in bestimmten Serien auch immer wieder mal präsentiert. Wir werden das auch im Jahr 2005, wenn wir uns mit der Thematik des Kriegsendes noch einmal beschäftigen, erneut präsentieren. Ich denke, das wäre also damals auch eine ganz gute Entscheidung gewesen. Aber ich stehe jedenfalls zu meiner Entscheidung mit Marlene Dietrich.

Flemmer: Stoff gibt es also noch genug für die nächsten Jahre. Ich kann da nur sagen, dass ich mich bei Ihnen ganz herzlich für diesen Blick in die "Werkstatt" bedanke. Denn unser Gespräch war ja so etwas wie ein gewisser Blick in Ihre Werkstatt. Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlich Dank für das Zuschauen und das Zuhören."

 

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ZDF/ Jaqueline Krause-Burberg, Carmen Sauerbrei, Kerstin Bänsch, Stefan Falke