Das Interview ist erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom 26.01.2013, Seite 38.
"Guido Knopp war beim ZDF der Mann für die Geschichte. Unermüdlich hat er den Deutschen vom "Dritten Reich" erzählt. Seine Filme waren oft umstritten, aber enorm erfolgreich. Jetzt hört er auf.
Interview: Claudia Tieschky und Willi Winkler
Guido Knopp war 13 Jahre lang am späten Sonntagabend als Moderator von ZDF-History zu sehen. Er leitete die Mainzer Redaktion "Zeitgeschichte", die er von 1984 an aufbaute - und mit der er unter anderem den wichtigsten Dokuplatz des ZDF bespielte, am Dienstag um 20.15 Uhr. Knopp steht für Produktionen wie "Hitler - eine Bilanz", "Hitlers Helfer", "Holokaust". Seine Filme wurden in über 150 Ländern gesendet. Der 1948 geborene Knopp wuchs in Aschaffenburg auf, promovierte über das Verhältnis von SPD und USPD und arbeitete bei Welt am Sonntag und FAZ , bis er 1978 zum ZDF kam. Am 3. Februar um 23.35 Uhr moderiert er dort seine letzte Sendung.
SZ: Herr Knopp, vorhin auf der Straße hat Sie ein Zuschauer gegrüßt und gelobt. Tut das gut?
Guido Knopp: Aber ja. Es ist ja ein Indiz dafür, dass unsere Sendungen gesehen werden.
Sie haben mit unzähligen Filmen und Büchern ein gewaltiges Lebenswerk geschaffen. Wenn Sie jetzt zum Abschied vom ZDF Bilanz ziehen - was haben Sie erreicht?
Zuallererst bin ich dem ZDF dankbar, dass es mir die Chance gab, eine eigene Spur zu legen. Ich hoffe, dass ich meinen Beitrag dazu leisten konnte, dass der Zugang vor allem zur deutschen Geschichte für viele möglich wurde, die sich nicht von vornherein für Geschichte interessieren.
Abgesehen davon, dass Sie ZDF-Angestellter waren - haben Sie ein politisches, historisches, womöglich ein menschliches Sendungsbewusstsein?
Der letzte Trieb, der bei älteren Kollegen erlischt, ist der Sendetrieb. Wenn wir vermitteln konnten, dass wir um diese zwölf furchtbaren Jahre, die es im 20. Jahrhundert gab, keinen Bogen schlagen dürfen, sie nicht verdrängen dürfen, dann ist etwas gelungen. Dazu gehört aber auch der Nachweis, dass sich die deutsche Geschichte nicht in diesen zwölf Jahren erschöpft. Wir haben eine reiche, eine auch kulturell reiche Geschichte. Und die Probleme, die Otto der Große mit seinen Herzögen hatte, sind gar nicht so verschieden von denen, die Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten hat. Nur wurden die Probleme damals mit dem Schwert entschieden und nicht mit dem Geldbeutel.
Ein Fortschritt, wenn auch filmisch nicht so ergiebig.
Ja, auch bei unseren Partnern lag das Hauptinteresse nicht da, sondern auf der NS-Zeit. Ich habe mit glühenden Worten meinem Freund Charlie Maday vom History Channel eine Serie über unsere Nachkriegskanzler empfohlen. Seine Reaktion: „How boring, Guido!“ Glückliche deutsche Nachkriegsgeschichte wollte er nicht haben.
Jetzt kommt der Lobpreis der glücklichen Zeiten.
Allerdings! Wir haben Frieden, wir haben Freiheit, und wir haben eine staatliche Einheit gefunden, eingebettet in Europa.
Das deutsche Volk ist das glücklichste der Welt?
Walter Momper, in der Nacht der Maueröffnung. Darüber kann und soll man sich freuen, und das ist etwas, das sich lohnt, es dem Publikum zu vermitteln.
Klingt ein kleines bisschen nach Opium fürs Volk.
Ah, nein, Religion ist Opium fürs Volk. Geschichte ist kein Opium fürs Volk.
Aber vielleicht die Geschichtsvermittlung durch Guido Knopp ...
Meine Arbeit Opium? Das ist mal eine These, über die wir diskutieren können! Aber im Ernst - bei all den Problemen, die es gab, gehört doch dazu, dass es uns gelungen ist, auch die schlimmste Phase, also die atomare Bedrohung zu überwinden. Und nach dem kalten Krieg kam die Wiedervereinigung. Das nenne ich Glück, das ist Gnade der Geschichte, kein Opium.
Wie würden Sie selber den Knopp-Stil der Geschichtsdarstellung und -vermittlung beschreiben?
Mitte der neunziger Jahre, als wir begannen, unsere Filme mit den Zeitzeugen vor neutralem Hintergrund zu gestalten, als wir Schnitt-Technik und Zeitzeugen-Präsentation in einen Fluss gebracht haben, war das Spiel neu. Heute sehe ich das auch bei vielen anderen. Die Spielhandlung, das in die Dokumentation eingebettete Reenactment, für das wir unter anderem von Ihrer Zeitung gezüchtigt worden sind...
Aber liebevoll.
... ist heute ein üblicher Faktor. Wir waren die Pioniere. Die Dokumentation entwickelt sich, und wir haben im Lauf der vergangenen zwei Jahrzehnte eigentlich alle Stilmittel ausprobiert: Doku-Drama, Fernsehspiel, Quiz und teilweise auch das Magazin.
Kann das ZDF Sie überhaupt ersetzen? Wer folgt Ihnen nach?
Dazu kann ich nichts sagen, das ist noch nicht entschieden. Sorry for that.
Unabhängig davon: Wie würden Sie die Marke Guido Knopp beschreiben?
Da müssen Sie andere fragen.
Wir fragen aber Sie. Immerhin hat es bei Ihnen keine Gewinnspiele um Autos und keine Schleichwerbung gegeben - aber Sie waren für das ZDF trotzdem fast so wichtig wie Thomas Gottschalk.
Schleichwerbung war bei uns nie ein Thema.
Damit wäre das auch geklärt. Und nun zum Abschied ein Wort über die Marke Knopp.
Eine Eigeninterpretation! Simon Wiesenthal hat mal zu mir gesagt: „Du bist ein glücklicher Mensch, du hast dein Hobby zum Beruf gemacht.“ Geschichte, Fernsehen und auch noch das ZDF ...
Das ZDF als Hobby von Guido Knopp? Das könnte eine Schlagzeile werden.
Wiesenthal nannte mich "Happy boy"! Ich hatte von einem schönen Korrespondentenposten in Rom geträumt. Aber Anfang der Achtziger hatte das Haus im Gegensatz zur ARD noch keine historische Redaktion. Ich habe das als Defizit empfunden und dann Denkschriften formuliert. Ich bekam den Zuschlag, und ab 1985 haben wir gesendet.
Wie wichtig ist gutes Aussehen für den Erfolg?
Prrfhh. Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Bitte nicht tiefstapeln. Wenn Sie auf der Straße erkannt werden, hat das ja auch etwas mit dem Aussehen zu tun.
Och, ich bin 1,95, da wird man schnell erkannt. Ein in Ehren ergrauter Haarschopf mag das Seine dazu beitragen. Solange mir meine Frau sagt, du kannst dich immer noch neben mir sehen lassen, ist das in Ordnung.
Jetzt aber mal ein paar Fakten: Womit haben Sie mehr Geld verdient, als Angestellter des ZDF oder als Privatunternehmer, der Bücher schreibt und Vorträge hält?
Es hielt sich die Waage.
Welcher Ihrer Filme hat sich international am besten verkauft?
Das muss entweder "Hitler - eine Bilanz" gewesen sein oder "Hitlers Helfer", vielleicht auch "Holokaust".
Die berühmten zwölf Jahre. Haben Sie je daran gedacht, unernste Filme zu drehen?
Ja, ja, ja! Natürlich! Sie werden wahrscheinlich überrascht sein, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich den Anfang meiner Zeitungszeit beim Main-Echo mit Satire bestritten habe. Satire oder Parodie ist etwas, das ich gerne mal machen würde, weil ich es bisher im Fernsehen nicht konnte.
Müssen wir fürchten, dass Sie Hitler plötzlich am Schnurrbart zupfen? Dass bei Ihnen wie bei Mel Brooks ein Geschwader Tauben mit Stahlhelm und Hakenkreuzen rumschwirrt, ist nur schwer vorstellbar.
Das war der alte Guido Knopp! Diese Zeit ist abgeschlossen.
Jetzt kommt der neue Guido Knopp?
Ich hätte schon Lust, mich zum Teil über solche Sachen neu zu erfinden.
Sie könnten sich über den Guido Knopp von früher lustig machen?
Warum nicht? Natürlich ginge das.
Kennen Sie diese Führerrede, bei der sich Hitler in Ekstase redet und darüber hat jemand den "Leasing-Vertrag" von Gerhard Polt gelegt? Bei Ihnen muss es immer feierlich zugehen.
Ich will nicht sagen feierlich, aber ernst. Denn die Themenlage ist ernst. Bei unserem Programmauftrag kann es auch gar nicht anders sein.
Über Hitler lachen, geht das?
Natürlich geht das.
Aber nicht bei Ihnen.
Bis dato nicht, aber warten Sie es mal ab.
Von jetzt an darf gelacht werden?
Vielleicht! Von jetzt an darf gelacht werden. Es muss ja nicht nur über Hitler sein.
Waren Sie durch diesen Ernst des Programmauftrags nicht in Gefahr, das Nazi-Pathos zu verlängern?
Wir haben immer versucht, dagegenzuwirken in der Textierung, in einer sparsamen, lakonischen Kommentierung.
Einspruch, die Handschrift Knopp ist doch das große Gefühlskino!
Ja, aber nicht bei investigativen Themen, was die Nazizeit betrifft.
Ihre Zeitzeugen sind Emotionsträger, sonst nichts.
Nein, sind sie nicht. Sie sind Erinnerungsträger für den subjektiven Teil von Geschichte. Das subjektive Erleben von Grenzerfahrungen im Leben ist das, was die große Geschichte noch mal durch die jeweilige Biografie ergänzt. In Amerika habe ich es mal so umschrieben: "History is cold, but memory is warm." Man muss sich darum kümmern, und das tun wir sehr intensiv, damit die Erinnerung der Zeitzeugen schlicht und ergreifend stimmt.
Wie können Sie da sicher sein?
Da haben wir unsere Fachberater, die sich das streng vornehmen. Wenn die Geschichte bestätigt ist, senden wir es. Sonst nicht.
Eine Zeugin wie Traudl Junge, die bereits 1948 als unglaubwürdig galt, durfte bis zu ihrem Tod 2002 ihre Hitler-Schmonzetten erzählen. Unter Zeithistorikern gibt es die Redensart "Er lügt wie ein Zeitzeuge".
Wenn wir uns dieses Diktum zu eigen machen würden, könnten wir den ganzen Bereich Oral History auf den Misthaufen werfen.
Wenn Magda Goebbels noch lebte, wäre sie dann Ihre Zeitzeugin?
Wahrscheinlich. Aber man müsste sie investigativ-kritisch befragen und gegebenenfalls konterkarieren. Das tun wir gelegentlich auch, in seltenen Fällen. Wenn etwas eine subjektive Fehl-Erinnerung ist, aber von der Figur her so interessant, dass es präsentabel ist, dann kann es zitiert werden.
Der Historiker Wulf Kansteiner hat Ihnen "Geschichtspornografie" vorgeworfen. Trifft Sie das nicht?
Ach, der Herr K.! Das ist dann auch ein bisschen albern. Bei uns im Sender wird das gar nicht gewichtet oder gewertet. Da lächelt man darüber. Ich nehme es mit einer Prise Salz.
Bei Ihnen ist wiederholt Wilhelm Höttl aufgetreten.
Ja, Mitte der Neunziger, ich erinnere mich.
Der ehemalige SS-Hauptsturmführer hat als Erster die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden überliefert. Er war Mitarbeiter des Geheimdienstchefs Walter Schellenberg, dann bei den Amerikanern, bei der Organisation Gehlen, sicher der unglaubwürdigste Zeuge von allen.
Wir haben den in einigen Filmen gehabt, im Eichmann-Film und in der Holokaust-Serie. Er war einer der wenigen Täter, die vor die Kamera geholt wurden. Sonst gab es nur einen Letten und einen Esten, die in der Sowjetunion ihre Strafe bereits abgesessen hatten und offen über ihre Beteiligung am Holocaust sprachen.
Das ZDF hat Höttl durch den Auftritt die Absolution erteilt.
Ich fand es wichtig, dass wir auch solche Leute hatten.
Hat sich der Programmdirektor nicht manchmal gedacht: Quote gut und schön, aber ohne Guido Knopp wären unsere Zuschauer im Durchschnitt viel jünger?
Nein, Euer Gnaden, da widerspreche ich entschieden. Nikolaus Brender, der damalige Chefredakteur des ZDF, hat das schöne Wort geprägt: "Das ZDF wird durch Geschichte jung." Unsere History-Sendung hat bis heute einen weitaus höheren Anteil bei den entscheidenden der 14- bis 49-Jährigen als andere.
Als es beim History Channel in den USA zu viel Hitler wurde und vom "Hitler Channel" die Rede war, hatte da nicht auch Guido Knopp das Gefühl, ich muss etwas ganz Neues anfangen?
Wir haben es nicht abrupt gemacht, sondern uns 2004 nach zehn Jahren anderen Themen zugewandt. Das war ein sachter Prozess.
Der Philosoph Ernst Nolte sprach einst von der Vergangenheit, die nicht vergehen will. Haben Sie nicht auch dafür gesorgt, dass sie einfach nicht vergeht?
Ich denke, dass die Nazi-Zeit für uns ein Lehrstück ist. Das ist auch die Chance des Mediums Fernsehen, das zum ersten Mal im 20. Jahrhundert mit Bildern aufwarten kann, die nachdrücklich im Gedächtnis haften. Man darf die "Vergangenheit, die nicht vergehen will" nicht nur analytisch betrachten, sondern muss auch sehen, was sie mit den Menschen gemacht hat.
Als die Serie Holocaust im WDR lief, war das ZDF noch sehr stark weltanschaulich geprägt.
Wie meinen Sie das?
Als konservativer Gegenentwurf zur ARD. Gab der Intendant Dieter Stolte für Ihre Arbeit eine Linie vor?
Nein, ich konnte wirklich das Programm machen, von dem ich überzeugt war.
Hatten Sie eigentlich nie den Ehrgeiz, selber Intendant zu werden?
Nein, die Bürokratie wäre mir zu viel gewesen.
Das sagen alle.
Es stimmt aber. Ich hatte beim ZDF den besten Arbeitsplatz der Welt. Gelegentlich gab es Anfragen von außen, von Dritten, von der ARD, von einem großen Konzern.
Wir nennen jetzt nicht den Namen Bertelsmann.
So etwas wäre reizvoll gewesen.
Was hätten Sie da gemacht?
Ich hätte einen Verlag geleitet, und gleichzeitig hätte ich mir eine eigene Fernsehproduktion ausbedingen können. Mit diesem Angebot bin ich zu Dieter Stolte gegangen. Vom Verstand her würde ich das machen, sagte ich ihm, aber vom Herzen her würde ich gern beim ZDF bleiben. Er fand das auch. Und dann sind Dinge möglich, die vorher schwierig gewesen wären.
And the rest is history.
So ist es."
© Guido Knopp, 2022
Bildnachweis:
dpa Bildfunk/ Fredrik von Erichsen
ZDF/ Jaqueline Krause-Burberg, Carmen Sauerbrei, Kerstin Bänsch, Stefan Falke